von Judith Frei – OT, 18. November 2019

Die Sikh-Gemeinschaft feiert den 550. Geburtstag ihres Gründers und hat hohe Gäste eingeladen – ein Augenschein.

Es ist Sonntagvormittag. Vor dem Gurudwara Sahib in Däniken, dem Tempel der Sikh-Gemeinschaft, herrscht reges Treiben. Autos werden eingewiesen, Gäste empfangen und Kinder wuseln umher. Aus dem Tempel kommen orientalische Klänge bis nach draussen. Der Gesang wird von einem Harmonium und einer Art Trommel – der Tabala – begleitet. Trotz Nieselregen und tiefen Temperaturen sind die Menschen barfuss oder in Hausschuhen unterwegs. Denn der Tempel darf nicht mit Schuhen betreten werden. Die Männer tragen entweder einen Turban oder haben sich ein Tuch um den Kopf gebunden. Nur wenige Frauen tragen einen Turban, die meisten haben ein Kopftuch locker über den Kopf geworfen. Die Tücher sind aufwendig mit Gold- oder Silberfäden bestickt.

«Es sind ungefähr 200 bis 300 Menschen hier», meint Amandeep Singh. Er ist Mediensprecher der Sikh- Gemeinschaft in Däniken und kommt aus Langenthal. Er erklärt, dass Menschen aus der ganzen Schweiz und einige aus Süddeutschland ihren Weg nach Däniken gefunden haben. Denn es ist ein wichtiges Jubiläum für die Sikh-Gemeinschaft: Der Begründer der Religion, Sri Guru Nanak Dev, feiert seinen 550. Geburtstag. Die Feierlichkeiten fingen schon am Freitag um 10 Uhr an. Dann begann das Akhand Path, das ununterbrochene Lesen aus dem heiligen Buch, dem Adi Granth. Das Buch wird vorgesungen und der Gesang im ganzen Tempel hörbar.
Im Erdgeschoss des Gebäudes befinden sich die Küche und der Speisesaal. Wo gegessen wird, stehen keine Tische oder Stühle, sondern schmale lange Teppiche sind auf dem Boden ausgerollt. Darauf sitzen die Gäste. Alt oder jung, Mann oder Frau hocken im Schneidersitz und essen und trinken süssen Tee. «Das ist Chai-Tee», erklärt einer der jungen Männer, die die Gäste bedienen. Er trägt einen Turban, Jeans und einen sportlichen Pullover. Mit seinen Altersgenossen spricht er Schweizerdeutsch, mit älteren Leuten aber Panjabi, eine der Sprachen, die im Norden Indiens gesprochen werden. Auch im Speisesaal klingt der Gesang aus Lautsprechern.

Im oberen Stock ist der Gebetsraum. Auf der linken Seite sitzen die Frauen und auf der rechten die Männer. Doch die Trennung wird nicht strikte eingehalten. Manche murmeln die Gebete mit, einige haben die Augen geschlossen und noch andere diskutieren mit ihren Sitznachbarn. Die kleinen Kinder springen umher, spielen miteinander oder lassen sich erschöpft in den Schoss eines Erwachsenen fallen. Immer wieder kommen neue Leute in den Saal. Treten vor den Altar, wo das heilige Buch aufgebettet ist, legen eine Spende auf den Altar und verneigen sich tief. «Im Sikhismus sind alle Menschen gleich», erklärt Amandeep Singh. Um diese Gleichheit zu zelebrieren, haben alle Männer den Namenszusatz Singh, was Löwe bedeutet, und alle Frauen Kaur, Prinzessin.

Die Feierlichkeiten haben nicht nur die Sikh-Gemeinschaft nach Däniken gelockt, auch der indische Botschafter aus Bern, Sibi George, stattet dem Tempel einen Besuch ab. Zu dieser Gelegenheit trifft er sich spontan mit Regierungsrat Remo Ankli und Kantonsrätin Susan von Sury. Während des Treffens erklärt er, welche Orte in Indien besuchenswert sind. George betont, wie gut die Beziehungen zwischen der Schweiz und Indien sind: 800 000 indische Touristen seien letztes Jahr in die Schweiz gekommen. «Wenn man in Luzern einen Stein wirft, dann trifft man mindestens einen indischen Touristen», meint er und lacht. Er sei zum ersten Mal hier in Däniken, aber bestimmt nicht zum letzten Mal. Obwohl die Sikh-Gemeinschaft in der Schweiz nur 1000 Menschen zählt – zu wenig, um in einer Statistik zu erscheinen –, will er die Beziehung zu ihr pflegen. Und schon geht es wieder weiter mit den Feierlichkeiten. Der Botschafter und die zwei Schweizer Politiker gehen in den grossen Gebetssaal und werden gebührend empfangen. Noch lange wird im Tempel gesungen, gebetet, meditiert, gegessen und geredet.

Die Sikh-Gemeinschaft in der Schweiz besteht seit den 1980er-Jahren, als politische Unruhen in Indien viele Sikh in die Flucht trieb. Auf der ganzen Welt leben ungefähr 25 Millionen Sikhs, 80% von ihnen in Indien. Der Sikhismus ist eine monotheistische Religion. Dabei wird der Schöpfer, der Ursprung von allem, angebetet. Dieser Schöpfer hat kein Geschlecht, keine Rasse und keine Religion. Ein Sikh soll sein Leben auf drei Grundsätzen gründen: das Beten und Meditieren, das harte Arbeiten und zuletzt das Teilen. In einem Sikh-Tempel sind alle Menschen willkommen, solange sie ihre Schuhe ausziehen und ihren Kopf bedecken.