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Die neue Sek I will besser auf die abnehmenden Schulen vorbereiten. Erste Erfahrungen zeigen: Kantonsschulen und Berufsbildner sind nicht zufrieden. Was läuft falsch?

Remo Ankli: Man muss sich bewusst sein, dass die Erfahrung mit der neuen SekI, vor allem bei den Berufsbildnern, noch sehr schmal ist. Die allgemeine Klage darüber, dass die Schulabgänger nicht genügen, gibt es immer, auch bei Maturanden, die an die Uni wechseln. Aber tatsächlich, ja, es gibt Diskussionen um die Sek-I-Reform.

Zuerst aber möchte ich festhalten, dass die Sek-I-Reform in vielen Bereichen erfolgreich ist, und das wird auch allgemein anerkannt. Die Vorbereitung der Jungen zum Beispiel im Fach Berufsorientierung in derSekEund derSekB auf die anschliessende Berufslehre war das Ziel und ist erfolgreich umgesetzt worden. Es gibt aber auch Klagen auf der Seite der Berufsbildner, und die nehmen wir selbstverständlich ernst. Ganz besonders wichtig scheinen mir aber auch die Erfahrungen der Gymnasien mit den Absolventen der Sek P. Hier überblickt man immerhin bereits zwei Jahre.

Können Sie das konkretisieren?

Von den ersten Sek-P-Absolventen sind rund 10 Prozent nicht ins Gymi eingetreten. Sie haben entweder die zweite Sek-P-Klasse repetiert, was eigentlich nicht vorgesehen ist, oder sie haben in die Sek E gewechselt. Besonders zu denken gibt uns, dass nur rund zwei Drittel der ersten

Sek-P-Absolventen derzeit die zweite Klasse des Gymnasiums besucht. Rund 10 Prozent repetieren die erste Gymiklasse. Gegen 20 Prozent gehen in die Berufsbildung, der Rest besucht die Fachmittelschule. Trotz einer frühen und scharfen Vorselektion werden also viele

Sek-P-Schüler den Anforderungen am Gymnasium nicht gerecht. Oder aber sie erkennen, dass das Gymnasium nicht der richtige Bildungsweg für sie ist.

Die Sek P richtet sich an Schüler, die eine Matura machen wollen. Ihre Zahlen belegen deutlich, dass dies nicht zutrifft. Wie gehen Sie mit dieser Tatsache um?

Es stellt sich für mich die Frage, ob wir eine Weiterentwicklung der Sek-I-Reform anpacken sollen. Die Debatte Ende Januar im Kantonsrat drehte sich ja auch um die Frage, ob die jetzige Struktur mit einer zweijährigen Sek P sowie einer dreijährigen Sek E und Sek B wirklich richtig ist. In den anderen Bildungsraumkantonen dauert die Sek P ebenfalls drei Jahre und ist nicht wie bei uns einzig auf die künftigen Maturanden ausgerichtet. Ich habe das Volksschulamt damit beauftragt, einen unabhängigen Bericht erstellen zu lassen. Dieser soll zwei Varianten abklären: Zum einen geht es um eine Schärfung und Verbesserung des aktuell bestehenden Systems. Und zum anderen um eine Anpassung an das System in den umliegenden Kantonen.

Bis wann sollen solche Änderungen realisiert werden können?

Die Erarbeitung der Grundlagen braucht natürlich Zeit. Wir müssen zudem die Konsequenzen abschätzen können. Gerade die zweite Variante mit einer dreijährigen Sek P hätte wohl auch zur Folge, dass die Schüler nach der Primarschule anders als heute auf die einzelnen Abteilungen der Sekundarstufe I verteilt werden. Es werden dann sicher mehr Schüler die Sek P besuchen. Zudem müssen wir auch die finanziellen Konsequenzen abschätzen. Die Verlängerung der Sek P um ein Jahr ist nicht gratis. Es ist geplant, dass wir allfällige Änderungen mit Beginn der nächsten Legislatur ab 2017 starten.

Was spricht konkret für eine dreijährige Sek P?

Bei der Sek-P-Quote haben wir eine bestimmte bildungspolitische Vorgabe. Seit Beginn der neuen SekI liegen wir immer über dieser Vorgabe. Und wie die Erfahrung jetzt zeigt, hat das wesentlich damit zu tun, dass etliche Jugendliche die Sek P besuchen, die später keine Maturität machen wollen. Das halte ich für durchaus legitim. Es stellt für viele Schülerinnen und Schüler am Ende der Primarschule eine grosse Herausforderung dar, genau zu wissen, ob sie später eine Berufslehre machen oder ins Gymnasium gehen wollen. Eine zweijährige Sek P aber ist für künftige Berufslernende nicht sehr gut geeignet, weil den betreffenden Schülern dadurch ein Volksschuljahr fehlt. Zudem gibt es auch keine Berufsorientierung in der heutigen Sek P.

Dennoch geben Sie auch dem bestehenden System mit einer zweijährigen Sek P eine Chance. Ist das nicht ein Widerspruch?

Nein. Wichtig ist aber, dass wir das bestehende System verbessern und auch schärfen. Das bedeutet zum einen, dass in aller Regel nur jene die Sek P besuchen, die später tatsächlich eine Maturität machen wollen. Mit der Festlegung der ursprünglichen Quote von 15 bis 20 Prozent

Sek-P-Schülern war das ja auch so gedacht. Die Architektur der

Sek P schliesst an die Tradition der Solothurner Untergymnasien an. Das ist im Vergleich zu den umliegenden Kantonen eine Besonderheit, die häufig nicht verstanden wird. Ein solch verengter Zugang zur Sek P schliesst aber zwingend eine gute Durchlässigkeit von der Sek E ins Gymnasium ein. Schülerinnen und Schüler, die im Verlauf der Sek E erkennen, dass sie ins Gymnasium wechseln wollen, müssen eine gute Chance dafür haben.

Es braucht im Vergleich zu heute eine höhere Durchlässigkeit von der Sek E ins Gymnasium?

Ja. Die Quote jener, die nach der dritten Sek E ins Gymnasium wechseln, ist zwar in etwa vergleichbar mit der Quote jener, die früher nach der dritten Bezirksschule ins Gymnasium gingen. Im alten System aber wechselten viele bereits nach der zweiten Bezirksschule ins Gymnasium, ohne ein Jahr zu verlieren. Und wenn sie gut waren, mussten sie nicht einmal eine Prüfung machen. Diese Möglichkeiten gibt es heute nicht mehr. In dem Bericht, den ich erwähnt habe, wollen wir die Möglichkeit prüfen, wie wir im heutigen System die Durchlässigkeit verbessern können.

In der mangelnden Durchlässigkeit von der Sek E ins Gymnasium liegt also der eigentliche Fehler der Sek-I-Reform, wie sie von Ihren Vorgängern aufgegleist worden ist?

Das muss man aus heutiger Sicht wohl so sagen. In der politischen Debatte der letzten Jahre ist diese mangelnde Durchlässigkeit wiederholt thematisiert worden.

Berufsbildner klagen, dass der Schulrucksack von Sek-E-Absolventen für anspruchsvolle Berufslehren oft nicht genügt. Muss die Sek E schulisch anspruchsvoller werden?

Ich habe gehört, dass in der Mathematik Mängel bestehen. Im Rahmen sogenannter Treffpunkte zwischen der Volksschule und den abnehmenden Berufsschulen besteht neu die Möglichkeit, dass die Berufsschulen ihre Bedürfnisse anmelden. Inhaltliche Verbesserungen erfordern nicht zwangsläufig zusätzliche Lektionen. Andererseits schliesse ich aber auch zusätzliche Lektionen nicht völlig aus. Grundsätzlich möchte ich betonen, dass wir in der Sek E und in der Sek B auf gutem Weg sind. Wesentlich dazu beitragen auch die Abschlusszertifikate, die eine klare Aussage über das Leistungsniveau machen. Zudem sind hier jeweils auch Berufsbilder hinterlegt.

 

Darum geht es

Mängel bei der Reform festgestellt

Im Sommer 2014 haben erstmals junge Frauen und Männer ihre obligatorische Schulzeit in der neuen Sek I beendet. Nach drei Jahren in der Sek E (Erweiterte Anforderungen) und der Sek B (Basisanforderungen) sammeln sie derzeit erste Erfahrungen in der Berufswelt. Die ersten Absolventen der zweijährigen Sek P (Progymnasium) haben bereits ein Jahr Gymnasium hinter sich. In den letzten Monaten meldeten sich vermehrt kritische Stimmen zu Wort. Im Herbst veröffentlichte der Verband der Lehrerinnen und Lehrer Solothurn (LSO) eine Umfrage unter dem Titel « Sek-I-Reform: Die Skepsis wächst». Kritische Fragen zur Sek-I-Reform stellten weiter die FDP und die SVP. Viele Sek-E-Absolventen seien zu wenig gut gerüstet für anspruchsvolle Berufslehren und zudem würden zu viele Schüler die Sek P besuchen, die keine Matura machen wollen. In der Kantonsrats-Session von Ende Januar konnten sich sämtliche Fraktionen dieser Kritik anschliessen. Bildungsdirektor Remo Ankli äussert sich jetzt erstmals zu diesen Problemfeldern. (esf)